Einen Tempel bauen.
Erleben, dass in diesem Moment alles da ist.
Stöckchen und Steinchen, ein paar Blätter und Blumen – einen „Tempel zu bauen“ ist sehr real für mich. 2019 habe ich an einer Eiche am Arnimplatz in Berlin damit begonnen. Die Idee hatte ich auf einer Reise nach Indien und Nepal. – Inzwischen ist das „Tempel bauen“ zu einem Bild dafür geworden, wie ich mein Leben gestalten möchte. Klick auf die Bilder, um mehr zu erfahren.
Der Tempel am Arnimplatz in Berlin
Ende Mai, Anfang Juni 2019 stehe ich zum ersten Mal an einer Eiche am Arnimplatz in Berlin und beginne, Steinchen und Stöckchen zu ordnen. Heimlich, am Abend, immer nur dann, wenn ich das Gefühl habe, dass mich niemand beobachtet. Was sollen denn die Leute sonst von mir denken?
Die Eiche ist die Hüterin des Platzes, das ist mir sofort klar. Ich bringe ihr Muscheln und Federn, hänge tibetische Gebetsfahnen in die Äste, stecke Blumen in die Rinde. Wir schließen Freundschaft. Über die Zeit entsteht ein kleiner Tempel… Inzwischen bin ich fast täglich da – und es ist mir nicht mehr so wichtig, was die Leute denken.
Manche scheinen den Tempel zu mögen. Sie haben angefangen, mitzumachen und legen Dinge dazu. Glückskekse, Schmuck, Zettelchen. Immer wieder komme ich mit Menschen ins Gespräch, erkläre Kindern, wie sie mit Bäumen sprechen können. Andere Nachbarn räumen alles weg und packen es in den Mülleimer nebenan. Dann beginne ich neu.
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Was Tempel bauen für mich bedeutet
Tempel bauen ist für mich real und symbolisch zugleich. Zunächst hat es eine praktische Seite, wie bei meinem Tempel am Arnimplatz. Ich genieße es, Dinge anzufassen, in Kontakt mit der Natur zu sein. Es erdet und verbindet mich – mit mir und mit meiner Umgebung. Ich werde ruhiger, langsamer, bemerke die Fülle der Kleinigkeiten um mich herum: ein Stück Rinde, eine Scherbe, ein Blütenblatt – meine Hände finden immer genau das, was sie in diesem Moment benötigen.
Gleichzeitig hat das Tempel bauen eine symbolische Ebene. Für mich bedeutet es: in einer Situation den Blick auf das Wesentliche – das Heilige – zu lenken. Das mag ein großes Wort sein. Für mich beginnt es mit dem Mut, ganz und gar hier zu sein und zu fühlen, was in diesem Moment da ist. Egal ob ich allein bin oder mit anderen. Ob beim Kaffee trinken, beim Tanzen oder Streiten.
Wenn es mir gelingt, den Moment anzunehmen wie er ist, wenn ich ihn einfach so sein lassen kann, dann fehlt auch mir nichts. Dann erlebe ich, dass auf wundersame Weise alles da ist, was ich brauche, um glücklich zu sein.
Tempel. Eine Auswahl
Wie ich zum Tempel bauen kam.
Eine Geschichte
Intro: Welcome to Mother India
Es ist mein Geburtstag, Ende Februar 2019. Ich steige aus dem Flugzeug in Neu Dehli. Das erste Mal Indien. Müde und bepackt suche ich das Gate für meinen Inlandsflug. Da spricht mich ein sehr freundlicher Inder an und erklärt mir, ich müsse zu einem anderen Terminal – und er habe ein Taxi …
Ja, es ist naiv einzusteigen. Am Ende der 20-minütigen Fahrt will er 250 Euro. Ich zahle schließlich 30 und bin froh, heil aus dem Taxi zu kommen. Tatsächlich stehe ich am richtigen Gate. Und im Flugzeug nach Dehradun sitze ich neben einem sehr freundlichen jungen Pärchen. Sie nehmen mich mit ihrem Auto mit nach Rishikesh – und fahren mich direkt bis zu meinem Hotel. Willkommen in Indien.
„Ist das ein Tempel?“
Von Rishikesh reise ich nach Tiruvannamalai. Ein paar Tage will ich an dem heiligen Ort im Süden Indiens bleiben, mit seinem heiligen Berg: Arunachala. Nach drei Wochen ist es Zeit, abzureisen.
Noch zwei Stunden bis mein Taxi Richtung Flughafen startet. Ich gehe ein letztes Mal zum Ramana-Ashram, lasse meine Sandalen am Eingang stehen und beobachte, wohin meine Füße laufen. Sie laufen einmal hindurch, zur anderen Seite. Dort beginnt der Weg zum Berg hinauf; zu den beiden Höhlen, in denen Ramana gelebt hat. Seltsam, denke ich, es ist doch viel zu wenig Zeit, um bis dorthin zu gehen. Dann bleibe ich plötzlich stehen.
Hier, an der Bergseite des Ashrams, stehen ein paar sehr große Bäume. Ein paar Mal habe ich in ihrem Schatten gesessen. Jetzt beginne ich, die Blätter aufzusammeln, die auf dem Boden liegen – und sie in Schlangenlinien zurückzulegen, ausgehend von einem der Stämme. Kleine Steine und Zweige ordne ich zu Spiralen. Und in den feinen Kies ziehe ich Linien mit den Fingern: Kreise, Wellen, fast um den kompletten Baum.
Plötzlich steht der Mann neben mir, der den Kies harkt. Er schaut mich an, schaut auf den Boden und dann wieder zu mir und fragt: „Is it a temple?“ Ich halte inne. Diese Frage hab ich mir noch nie gestellt. An unzähligen Stränden habe ich Muscheln zu Schlangenlinien aufgereiht, zu so vielen Gelegenheiten habe ich Blätter, Steinchen und Stöckchen geordnet. Ich hielt mich dabei immer für einen unbekannten Land-Art-Künstler. Dann höre ich die Antwort aus meinem Mund: „Yes, it’s a temple.“
Outro: Tempel bauen im Himalaya
Ein paar Wochen später bin ich in Nepal, im Himalaya. Auf einer Trekking-Tour zum Annapurna Basecamp beginne ich, Tempel zu bauen. Auf einmal ist es ganz natürlich alle naselang einen Stein aufzuheben, dann noch einen und noch einen – und sie dann zusammen mit einem Blatt oder einer Blüte am Wegesrand abzulegen. Ein guter Anfang ist mehr als die Hälfte, hieß es bei den alten Griechen. Tempel bauen im Himalaya – das war ein sehr guter Beginn. Danke Mariana für deine Begleitung.
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